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Windelfrei: Braucht ein Kind Belohnungen beim Sauberwerden?

Sauberkeitserziehung, Töpfchentraining: Das sind Worte, die bereits Kontrolle und Zwang im Namen tragen. Beim Sauberwerden handelt es sich ausschließlich um einen Reifungsprozess, der ähnlich wie das Laufen- und Sprechenlernen nicht beschleunigt werden kann.

Das eigene Kind dabei zu begleiten, so dass es selbständig und wertschätzend lernt auf die Toilette oder das Töpfchen zu gehen, ist für viele Eltern eine Herausforderung. Zahlreiche Ratgeber versprechen Tipps und Tricks, die beim Sauberwerden helfen sollen.

Exkurs: Warum war in der ehemaligen DDR das Töpfchentraining so beliebt?

In den Krippen der ehemaligen DDR wurden die Kinder alle gemeinsam in einer Reihe auf das Töpfchen gesetzt. Es gab nur nässende Baumwollwindeln. Deshalb wurde vielleicht mehr Engagement in das Sauberwerden gesteckt. Gebracht hat das Töpfchentraining aber nur etwas, wenn das Kind körperlich dazu bereit war. Der Imitationslerneffekt war sehr groß. Dennoch verstärkt die Intensität der Sauberkeitserziehung die Entwicklung der Blasen- und Darmkontrolle nicht, so der Schweizer Kinderarzt Remo Largo, Autor der bekannten Bücher Babyjahre (Werbelink) und Kinderjahre.

Unabhängig davon, ob geübt wird oder nicht, werden etwa alle Kinder zum gleichen Zeitpunkt trocken, da hierfür Hirnreifungsprozesse verantwortlich sind, die dazu führen, dass das Kind die Ausscheidungen und den Harn- beziehungsweise Stuhldrang bewusst wahrnimmt. Die meisten Kinder sind emotional und körperlich zwischen 18 und 22 Monaten bereit für diesen Entwicklungsschritt. Dabei sollte das Kind dabei unterstützt werden die eigenen Körpersignale (wieder) zu lernen.

Das Interesse des Kindes hängt (…) von der Möglichkeit ab, eigene Entdeckungen zu machen. (Zitat Maria Montessori)

Laut Largo beherrschen am Ende des dritten Lebensjahres 75 % der Kinder tagsüber den Toilettengang und im Laufe des vierten Lebensjahres sind fast alle Kinder sauber. Dieses Ergebnis hat Largo in der Zürcher Längsschnittstudie erforscht, bei der über 700 Kinder seit 1954 in der Universität Zürich untersucht wurden.

Die Eltern oder Geschwisterkinder können gute Vorbilder sein und beim Toilettengang das Kind zusehen lassen. Wer das nicht möchte, kann den Vorgang auch mit Hilfe von Büchern erklären.

Empfehlenswerte Bücher sind:

Moritz Moppelpo braucht keine Windel mehr (Werbelink)
Was hast du in deiner Windel? (Werbelink)
Lotta geht aufs Töpfchen (Werbelink)

Von auf dem Markt erhältlichen Trainingswindeln, die Kinder schnell hoch- und runterziehen können, würde ich abraten. Der Lerneffekt ist begrenzt, denn Flüssigkeit wird sofort aufgesogen. In der Übergangsphase ist dann aber mit mehr Wechselwäsche zu rechnen.

Bei einigen Kindern helfen entsprechende Aufkleber und Belohnungen.  Doch nicht jede Belohnung ist für jedes Kind gleichermaßen geeignet. Das eine Kind freut sich über kleine Geschenke. Das andere über gemeinsames Lesen einer Geschichte.

Am Anfang können die Belohnungen auch hilfreich sein. Lob hilft deinem Kind aber nur bedingt und bestärkt es nur im ersten Moment. Nach einer bestimmten Zeit, solltest du diese unbedingt weglassen.

Schwierig finde ich bei Belohnungen immer, dass du damit dem Kind suggerierst: „Du schaffst es nicht allein!“ Ich würde eher auf Belohnungen verzichten und versuchen das Kind mit Worten zu bestärken und ihm Hilfestellung zu geben, wenn es diese braucht.

Belohnung und Bestrafung machen Kinder abhängig

Gehirnforscher Prof. Dr. Gerald Hüther hält Belohnung genauso gefährlich wie Bestrafung. Lernen funktioniert mit Begeisterung und Spaß. „Es muss bedeutsam sein und unter die Haut gehen.“, so Hüther. Auch Maria Montessori, italienische Ärztin und Reformpädagogin (1870-1952), sagte, dass sich ein Kind nur verbessern und vervollkommnen kann, wenn es so viel und so lange üben darf, wie es möchte. Eine eigene Fehlerkontrolle ist außerdem wichtig. Aus diesem Grund lehne ich oben schon angesprochene Trainingswindeln ab, da damit keine „Fehlerkontrolle“ stattfindet.

Kinder, die mit Belohnung oder Bestrafung erzogen werden, lernen nicht aus sich selbst heraus und werden abhängig.

Hier noch ein kurzes Video, indem Prof. Dr. Hüther sehr gut erklärt wie Lernprozesse bei Kindern am besten gelingen. Unbedingt ansehen.

Beim Sauberwerden finde ich folgende Punkte wichtig:

 

Zum richtigen Zeitpunkt beginnen und die Umgebung vorbereiten

Viele Kinder entwickeln im zweiten und dritten Lebensjahr ein Interesse für den Körper und die Ausscheidungen. Diese Phase nennt Remo Largo die „anale Phase“. In dieser Phase reicht es aus ein Töpfchen im Badezimmer bereitszustellen. Wichtig ist, dass das Töpfchen im Bad steht und nicht in einem anderen Zimmer oder im Garten. Daneben kannst du noch einen Korb mit einer Toilettenpapierrolle und einen kleinen Eimer für das gebrauchte Papier stellen. Außerdem kannst du noch einen Korb mit Wechselkleidung und ein kleines Bilderbuch über das Sauberwerden hinstellen. Alternativ zum Töpfchen kannst du auch einen Toilettensitzverkleinerer benutzen und einen kleinen Hocker vor die Erwachsenentoilette stellen. Oder einfach beides anbieten.

Nicht das Kind soll sich der Umgebung anpassen, sondern wir sollten die Umgebung dem Kind anpassen. (Zitat Maria Montessori)

Inspirationen für die Einrichtung der Montessori-Kindertoilette gibt es auf Pinterest.

 

Vorbildfunktion

Wenn die Eltern oder Geschwister auf die Toilette gehen, ruhig die Tür auflassen und das Kind zusehen lassen.

Keinen Druck ausüben

Wenn es noch nicht gleich klappt, nochmal zu einem späteren Zeitpunkt probieren. Nicht in stressigen Zeiten mit dem Sauberwerden beginnen. Auf keinen Fall schimpfen, wenn das Kind einnässt, sonst verbindet es den Töpfchengang mit Angst.

Routinen einführen

Vor dem Schlafengehen oder vor dem raus gehen das Töpfchen anbieten.

Liebe, Vertrauen, Ruhe und Respekt

Zeige deinem Kind, dass du es lieb hast und bestärke das Selbtsbewusstsein, indem du ihm hilfst es selbst zu tun. Schon früh übt das Kind das Trockenwerden. Auch dass es sich in eine Ecke verzieht, um das Geschäft zu erledigen, ist ein normaler Prozess. Bereits Kleinkinder haben ein Schamgefühl und dieses sollten die Eltern respektieren und das Kind in Ruhe lassen. Kinder müssen meistens dann, wenn sie entspannt sind, also im Spiel oder nach dem Essen.

Auch nachts die Windel weglassen

Kinder verwirrt es, wenn sie tagsüber keine Windel tragen und nachts eine anhaben. Lieber das Kind nochmal vorher erinnern, dass es keine Windel anhat. Und einen Nässeschutz für das Bett kaufen sowie die Bettwäscheausstattung aufstocken. Vor dem Schlafengehen nicht zu viel Wasser oder Tee geben. Ich würde die Windel aber erst nachts weglassen, wenn es tagsüber schon sehr gut klappt.

Unterhosen und T-Shirts statt Bodys anziehen

So kann sich das Kind selbstständig aus- und wieder anziehen.

Am Anfang passieren sicher viele Unfälle, aber diese sollten die Eltern mit Gelassenheit begegnen und immer genügend Wechselsachen dabei haben.

Hilf mir, es selbst zu tun. Zeige mir, wie es geht. Tu es nicht für mich. Ich kann und will es allein tun. Hab Geduld meine Wege zu begreifen. Sie sind vielleicht länger, vielleicht brauche ich mehr Zeit, weil ich mehrere Versuche machen will. Mute mir Fehler und Anstrengung zu, denn daraus kann ich lernen. (Zitat Maria Montessori)

Wie siehst du das? Würdest du Belohnungen beim Sauberwerden deiner Kinder anwenden? Ich freue mich über deine Erfahrungen.

Möchtest du mehr über Montessori wissen? Ich habe einen Gastbeitrag über die Sensiblen Phasen geschrieben. Das passt gut zu diesem Thema.

Titelbild: © kuzmichstudio – Fotolia.com

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Ein Gedanke zu „Windelfrei: Braucht ein Kind Belohnungen beim Sauberwerden?“

  1. Liebe Anja,

    Ich muss jetzt so 30 Jahre zurückdenken. Es stimmt, dass das Kind alt genug sein sollte, sonst hat alles keinen Zweck. Drei Jahre finde ich etwas hoch gegriffen – da waren meine Kinder schon richtig „töpfchenfest“. Ab 18 Monate kann man es schon mal versuchen. Es ist natürlich beim ersten Kind etwas schwieriger, weil es ja nicht abgucken kann. Das Zweite hat es da schon wesentlich einfacher. Kinder gucken auch lieber bei anderen Kindern etwas ab, als bei Erwachsenen. Also ich habe mich nie vor meinen Kindern auf die Toilette gesetzt – sieht ja auch nicht aus, wie das Töpfchen. Es mag vielleicht anders sein, wenn man einen Kindertoilettensitz hat – aber für den Anfang halte ich den Sitz für ungeeignet. Er ist zu hoch und ich hatte Sorge, dass sie dort herunterfallen. Später ist der Kindertoilettensitz was richtig gutes.
    Die Nachtwindel war einige Monate später weg.
    Bei den ersten Erfolgen habe ich mich lauthals gefreut und auch gelobt – in dem Sinne: „Siehst du, da muss KK und PP immer rein, das hast du gut gemacht!“, darin sehe ich überhaupt nichts Schädigendes. Meinen Kindern hat es jedenfalls nicht geschadet.
    Dann durfte Baby das Erzeugnis selber in die Toilette kippen und spülen. Das war DIE Sache.

    Liebe Grüße
    Inki

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